Psychosen als Sprache der Trauma
Nicht nur Schizophrenie-Patienten werden oft mit einer unheilbaren Prognose im Stich gelassen und dazu angehalten, lebenslang psychisch wirksame und verzerrende Medikamente einzunehmen. Dabei sollte richtigerweise gesagt werden, dass NOCH keine allgemeine Heilung bekannt ist, sich aber die Trauma-Therapie in den letzten Jahrzehnten drastisch entwickelt hat. Trauma spielen höchstwahrscheinlich eine zentrale Rolle bei Schizophrenie, sofern es sich nicht um organische Ursachen wie Gehirnverletzungen handelt.
Unsere Kultur neigt dazu, Visionen fast grundsätzlich zu pathologisieren und verkennt dabei oft die bildliche und symbolische Sprache der Wunden und Verletzungen. Bereits in der Schulbildung wird das räumliche Vorstellungsvermögen dem Zufall überlassen, anstatt es gezielt zu fördern oder gar trainieren. Gedanken werden in unserer Gesellschaft überbetont („Ich denke, also bin ich“), ohne dass dabei Denken oder Sein wirklich definiert werden. Gleichzeitig empfinden die meisten Menschen eine anhaltende Stille im Kopf eher als bedrohlich oder zumindest ungewohnt.
Selbst im Bereich der Traumforschung sind die Wissenschaften gespalten: Ein Teil erkennt Traumbilder als Sprache des Unterbewusstseins an, ein anderer Teil verkennt diese und betrachtet das Traumerleben als sinnlose, zufällige und phantastische Form des Ausagierens. In weiteren psychologischen Schulen haben Traumbilder schlicht keine Bedeutung, da sie in deren Modellen keine Rolle spielen (z.B. Verhaltenstherapie).
Eine Wissenschaft und Psychologie, die bereits in den Kinderschuhen das räumliche Vorstellungsvermögen vernachlässigt, die Bildsprache des Bewusstseins eher pathologisiert als entschlüsselt (wie die semantische Bedeutungsebene jedes einzelnen Wortes), kann keine gültigen Aussagen über Halluzinationen, Psychosen oder Schizophrenie treffen. Dies ist zudem nur möglich, wenn wir die Entwicklungen der Trauma-Therapie der letzten Jahrzehnte vernachlässigen oder unter den Tisch fallen lassen.
Psychosen, einschließlich Schizophrenie und andere psychotische Störungen, werden in der Regel nicht als „heilbar“ beschrieben, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne einer vollständigen und dauerhaften Beseitigung der Erkrankung. Stattdessen wird bei der Behandlung von Psychosen oft das Ziel verfolgt, die Symptome zu kontrollieren, den Zustand zu stabilisieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Bereits diese Klassifizierung ist fahrlässig, da das Eingeständnis eher sein müsste, dass uns derzeit Möglichkeiten wirklicher Heilung NOCH unbekannt sind. Denn immerhin geht es IMMER darum, mit den Herausforderungen und Handicaps im Leben umgehen zu lernen und natürlich ist die Vorstellung eines völlig belastungsfreien Lebens (in diesem vollständigem Sinn von gesund?) eine Illusion.
Natürlich muss es darum gehen, mit jeglichen Herausforderungen und auch Tiefpunkten im Leben umgehen zu lernen und insofern die Lebensqualität zu heben oder halten. Natürlich geht es nicht darum, jegliche negativen Wahrnehmungen und Erfahrungen auszumerzen.
Aber genau das kann getrost kommuniziert werden; dass ein gesundes und zufriedenes Leben auch mit extremen Wahrnehmungen und Erfahrungen möglich ist.
Ich verwende hier Trauma in der medizinischen Bedeutung, die jegliche Verletzung als Trauma anerkennt.
Das Wort Trauma bedeutet einfach “Verletzung” (griechisch) und in der klinischen Medizin kann tatsächlich jegliche Verletzung, aber auch die (minimal) invasiven Eingriffe / Operationen selbst als Trauma definiert werden. Der Begriff ist für Verletzungen aus Unfällen und durch Gewalteinwirkungen bereits seit dem 19. Jhd. belegt. (Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. De Gruyter, Berlin/New York 2001)
Natürlich betrifft dies auch ganz besonders die psychologischen Traumata, sog. Psychotraumata – vor allem geistige und emotionale Verletzungen – aber auch (ebenso meist andauernde / wiederholende) Überforderungen und Überlastungen.
Umgangssprachlich und kulturell werden fälschlicherweise nur besonders extreme Einwirkungen als Trauma beschrieben.
Trauma ist eine Situation oder Phase absoluter Überforderung, die uns einfach zu viel wurde oder wird. Dahinter muss sich kein riesiger Schicksalsschlag verbergen. Oft wird unterschätzt, wie sehr uns permanenter Stress oder auch eine unglückliche Beziehung / Trennung / Verlust / … mitnehmen kann.
Natürlich eint uns Menschen auch alle das sogenannte Geburtstrauma, den ersten Überlebenskampf, den ein Fötus bei der Geburt meistert und bei einem Kaiserschnitt überspringt. Aus meiner Sicht kommt ein bedeutender Teil unserer Erinnerungslücken der ersten Lebensjahre aus diesem Geburtstrauma, was sich bei einer therapeutischen Aufarbeitung zB. hypnotisch sehr schnell und deutlich zeigt.
Unter diesem Gesichtspunkt sammeln wir die alltäglichen kleinen Verdrängungen in einem immer größer werdenden Becken des Unterbewusstseins, das irgendwann unangenehm zu drücken beginnen kann – oder gar zu explodieren droht.
Ich bin in meiner 30jährigen Erfahrung noch keinem einzigen Menschen begegnet, der keine potenziell „explosive“ (selbst- oder fremdverletzende) Anhäufung von verdrängten Verletzungen vorzuweisen hatte. Das nennen wir dann Charakter oder auch „Ecken und Kanten“. Wir alle sammeln diese kulturell-gesellschaftlich genauso, wie wir die Probleme des Planeten nur verwalten, kosmetisch übermalen und nicht von der Wurzel her lösen.
Es ist auch wichtig anzuerkennen, dass nicht alle Traumata offensichtlich oder akut sind. Entwicklungstrauma, das in der Kindheit auftritt und oft nicht erkannt wird, kann ebenfalls eine Rolle spielen.
Was ein Fötus oder Kleinkind als wirkliche Verletzung oder andauernden Stress identifiziert, ist zudem höchst individuell und entzieht sich den meisten erwachsenen und nicht selten desensibilisierten Betrachtungsweisen.
Kinder, die unter wirklicher Vernachlässigung, Missbrauch oder anderen Formen von Trauma leiden, haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von psychischen Störungen wie Schizophrenie.
Ich persönlich sehe hier einen direkten Zusammenhang, weil wir kulturell keinen Umgang mit verletzenden oder stressenden Wahrnehmungen und deren Aufarbeitung haben. Gesellschaftlich wie psychologisch lassen wir in der Regel Grass darüber wachsen, sitzen Konflikte aus und sind nur in seltenen Ausnahmefällen wirklich lösungsorientiert und heilsam.
Nicht einmal in der Schule lernen wir Konfliktlösung oder die Aufarbeitung verletzender Erfahrungen. Warum wundern wir uns, dass unsere Kommunikation immer verletzender wird, wenn wir psychische Verletzungen so gut wie nie aufarbeiten? Uns fehlt dafür die Kultur!!
Ebenso wird gerne unterschätzt, dass die psychotischen und schizophrenen Schübe selbst zu einem Trauma werden, weil diese nicht angemessen aufgefangen und aufgearbeitet werden.
Wissenschaftlich ist nur eines klar: Je mehr Schübe wir erleben, um so unwahrscheinlicher wird eine Heilung. Dass dies aber mit daran liegt, dass die Schübe selbst nicht aufgearbeitet oder gar „genutzt“ werden und zudem in den Auswirkungen auf das Leben und den Reaktionen aus den Umfeldern (sowie für diese!!) ein zusätzliches Trauma bedeuten, wird gerne und allzu leicht unterschätzt.
Dazu kommen die Auswirkungen von Stigmatisierung, Isolation und Diskriminierung auf Menschen mit Schizophrenie.
Zumindest erklärt sich so, warum die Heilungschancen mit der Anzahl an Schüben und Zusammenbrüchen sinkt.
Es ist wichtig anzuerkennen, dass Schizophrenie ein breites Spektrum von Symptomen und Verläufen umfasst, und nicht alle Patienten dieselbe Prognose haben. Einige Patienten können durch eine angemessene Behandlung, die sowohl medikamentöse als auch psychotherapeutische Ansätze umfasst, eine erhebliche Besserung ihrer Symptome erleben und ein „funktionales“ Leben führen.
Auch wenn es Medikamente gibt, die zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt werden und einige Nebenwirkungen haben können, sind nicht alle „psychisch stark wirksam und verzerrend“. Moderne Antipsychotika werden oft in niedrigeren Dosierungen verschrieben und können effektiv dabei helfen, Symptome zu kontrollieren, ohne das Bewusstsein oder die Wahrnehmung stark zu beeinträchtigen.
Allerdings sollte durchaus beachtet werden, dass sämtliche Antipsychotika eben durchaus Wirkung auf die Psyche haben und Betroffene diese Medikamente lebenslang nehmen sollen.
Häufig wechseln Patienten die Medikamente alle paar Jahre dank Resistenzen oder Unverträglichkeiten oder durch neueste Forschungen. Diese wirken dann meist wiederum völlig anders und teils auf der Basis andersartiger Biochemie. Der Wechsel der Medikamente funktioniert auch nicht in allen Fällen einwandfrei, was manchmal auch an einer fehlenden Begleitung oder gar Überwachung liegt. Insofern kann ein Wechsel auch mal nach hinten losgehen und Auslöser weiterer Schübe und entsprechender Trauma sein.
Diese Medikamente sind in der Regel darauf ausgelegt, die Symptome zu deckeln. Forschungen für die Kombination von Antipsychotika mit Trauma-Therapie gibt es nur ganz selten. Genauso wenig werden die psychischen Auswirkungen und Langzeitfolgen der Medikamente selbst erforscht. Hier zählt nur, ob die Auswirkungen der Medikamente schwächer sind oder die Symptome erträglicher machen. Von irgendwelchen wirklichen Lösungen der Symptome durch Medikamente sind wir meilenweit entfernt.
Meist erschweren die Medikamente auch den psychischen Zugang zu den Trauma selbst. Heutzutage ist es tatsächlich leichter möglich geringer zu dosieren und damit auch leichter therapeutisch an die Verletzungen zu gelangen. Aber diese Medikamente wirken eben auch mit tage- oder wochenlanger Verzögerung. Die wirklichen Auswirkungen einer Änderung in der Dosierung oder gar des Medikaments zeigt sich in der Regel erst nach Wochen und das eben manchmal auch zum ungünstigsten Zeitpunkt.
So sind die Medikamente und die Dosierung ein ständiger Drahtseilakt und Tanz auf dem Glatteis, dem gegenüber ein Mangel an wirklicher Trauma-Forschung oder auch eine flächendeckende Abdeckung mit Fachpersonal und Therapieplätzen steht.
Betrachten wir die Fortschritte der Psychologie in den letzten Jahrzehnten – und vor allem alleine die Fortschritte in der Trauma-Therapie – dann kann mehr als vermutet werden, dass wir auch für Psychosen wie Schizophrenie Lösungen finden … vor allem, wenn wir gemeinsame traumatische Ursprünge anerkennen.
Schizophrenie-Patienten erhalten in der Regel eine unheilbare Prognose und werden dazu angehalten, lebenslang psychisch mehr oder weniger stark wirksame und mehr oder weniger verzerrende Medikamente einzunehmen.